Le Centre pour la concurrence fiscale recherche les effets d'une concurrence fiscale dynamique et d'une protection efficace de la sphère privée financière sur la liberté individuelle et la propriété.

«Ring fencing»: Wer grenzt wen aus?

Die kantonale Unternehmensbesteuerung steht im Brennpunkt der Kritik aus der Europäischen Union. Grenzen die Kantone die EU aus oder grenzt sich die EU selbst aus?

Durch den Wettbewerb werden hohe Preise durch niedrige Preise verdrängt. So lautet das Credo der Wettbewerbspolitik der EU-Kommission. Doch dieses Bekenntnis endet, sobald sich der Wettbewerb auf die EU-Staaten selbst ausdehnt und hohe Steuern durch niedrige Steuern verdrängt werden. EU-Regierungen bekämpfen den Steuerwettbewerb mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie bilden ein Hochsteuerkartell, erklären dieses zum Standard und schützen es durch einen Verhaltenskodex (Code of Conduct). Das EU-Hochsteuerkartell übt massiven Druck auf die Schweiz aus, weil deren steuersouveräne Kantone die Steuerfestungen der grossen EU-Staaten anknabbern. Der EU-Rat äussert «grosse Sorge». Doch um was sorgt er sich?

Die Kantone haben keine Kanonen vor den Festungstoren der EU-Staaten aufgefahren. Sie rufen den Festungsinsassen nur harmlos zu: Kommt doch zu uns! Das Spielen vor den Festungen ist viel lustiger als der Aufenthalt in den dunklen, muffigen Festungsmauern. Erbost werfen die Festungskommandanten den draussen Spielenden eine Depesche zu: Wenn ihr nicht aufhört, unser Hochsteuerkartell durch Niedrigbesteuerung unserer ausgebrochenen Häftlinge zu unterwandern, so werden wir deren Gesellschaften so lange mit Pfeilen beschiessen, bis sie aufgeben.

Am 13. Februar 2007 warnt die EU-Kommission: Unter dem EU-Hochsteuerstandard stelle die schweizerische Niedrigbesteuerung eine «Steuerermässigung» dar, die «wirtschaftlich mit einer direkten Beihilfe gleichzusetzen ist. Es wird erwartet, dass die Schweiz diese Steuerregelungen aufhebt oder abändert, so dass die unterschiedliche Besteuerung von inländischen und ausländischen Einkünften beseitigt wird»…und das EU-Steuerkartell vor dem Zusammenbruch bewahrt wird.

Nutzloses Einlenken der Schweiz

Anfänglich reagiert die Schweiz mutig: Finanzminister Hans-Rudolf Merz sagt am 14. Februar 2007: «Ich bin doch nicht eingeknickt. Es gibt nichts zu verhandeln. Basta.» Am 6. Oktober 2011 schreibt das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD): «Die kritisierten kantonalen Massnahmen zur Unternehmensbesteuerung stellen keine Diskriminierung der inländischen Gesellschaften und keine Vorzugsbehandlung ausländischer Konzerne dar. Sie sind nicht selektiv, sondern stehen allen wirtschaftlichen Akteuren offen.» Noch geht die Schweiz von der Besteuerung «vor Ort» aus. Im März 2012 ist ihr Mut zerschmolzen. Das EFD versucht nun, durch Appeasement das Wohlwollen der EU-Giganten zu gewinnen: «[Es] sollen die Voraussetzungen für das kantonale Holdingprivileg den internationalen Standards angepasst werden», d.h. die von der EU kritisierten kantonalen Holding-, Domizil- und Verwaltungsgesellschaften sollen abgeschafft werden. Die EU ist zufrieden: «Der Rat würdigt die Bemühungen der Schweiz.»

Im Zwischenbericht vom 7. Mai 2013 erklärt das Steuerungsorgan von Bund und Kantonen, die Abschaffung der genannten kantonalen Holding-, Domizil- und Verwaltungsgesellschaften über den Finanzausgleich finanziell abfedern zu wollen. An die Stelle dieser Unternehmen sollen u.a. steuerbegünstigte Lizenzboxen für Immaterialgüter treten. Wie ist die Reaktion der Schweiz einzuschätzen? Erstens ist es einem Kleinstaat noch nie gelungen, durch Appeasement einen politischen Giganten milde zu stimmen. Insofern es der Schweiz dennoch gelingt, den Auflagen der EU zu entrinnen, gefährdet sie deren Hochbesteuerung und veranlasst sie, das Netz dieser Auflagen enger zu ziehen. Beispielsweise hat Deutschland schon signalisiert, eine schweizerische Lizenzbox nicht zu dulden. Das gut gemeinte Appeasement der Schweiz ist zum Scheitern verurteilt. Die Schweiz manövriert sich in ein hoffnungsloses Sisyphusproblem.

Zweitens hat die Schweiz mit ihrem Einlenken das EU-Hochsteuerkartell als Standard hingenommen und damit akzeptiert, dass die Niedrigbesteuerung ihrer Kantone eine vertragswidrige Beihilfe darstellt. Dadurch wird die Theorie auf den Kopf gestellt. Weltweit sind sich Wissenschaft und Praxis einig, dass Steuern ein «notwendiges Übel» darstellen und daher zu minimieren sind. Das bisher einzige Mittel, um zu niedrigen Steuern zu gelangen, stellt der Steuerwettbewerb dar. Unter dessen Druck besteuern die Kantone ihre Unternehmen tendenziell nach der Inanspruchnahme von sachlicher und natürlicher Infrastruktur «vor Ort» und belasten folglich Holdingunternehmen weniger als andere Unternehmen.

Höhere Steuern können Kantone im Wettbewerb nur durchsetzen, wenn sie ein Mehr an sachlicher oder natürlicher Infrastruktur bieten. Zwischen Kanton und Unternehmen setzt sich das anerkannte «Benefit Prinzip» durch, das Leistung und Gegenleistung ausgleicht. Die EU-Kommission hat nicht begriffen, dass die Schweiz für das von ihr praktizierte Prinzip keine Beweise vorlegen muss. Wettbewerb ist nicht beweispflichtig. Die EU-Kommission könnte höchstens einwenden, die Rahmenbedingungen der Kantone seien zu wenig wettbewerbsoffen und müssten verbessert werden. Darüber lässt sich reden.

Doch vom Steuerwettbewerb will die Kommission gar nichts wissen. Sie will (entgegen der Lehre vom notwendigen Übel) ihr Steuerkartell durchsetzen, um über die Infrastrukturkosten hinaus Steuern erheben zu können. Dass ein Kartell neben dem Wettbewerb nicht bestehen kann, hätte die EU schon 1972 wissen müssen, als sie mit der Schweiz das Freihandelsabkommen vereinbarte. Dadurch, dass sie die Augen verschloss, grenzte sie sich freiwillig aus. Sie, nicht die Kantone, verursachte das von ihr kritisierte «Ring Fencing» kantonaler Spezialgesellschaften.

Deutlich kommt der Widerspruch des Steuerkartells am Beispiel Deutschlands zum Ausdruck. Dort erheben die Gemeinden als Standortsteuer traditionell die Gewerbesteuer. Ihre Gewinnbelastung liegt heute etwas höher als die der kantonalen Unternehmenssteuern. Doch über diese Stand- ortsteuer hinaus erheben Bund und Länder die Körperschaftsteuer von 16% für Gebietsfremde. Dieser Zuschlag übertrifft den Bundeszuschlag zur kantonalen Unternehmenssteuer um mehr als das Doppelte. Besteuert werden also in Deutschland die ökonomischen Renten zusätzlich zur Standortnutzung. Diese Zusatzsteuer ist nicht nur in hohem Grade investitionsfeindlich und daher für Umverteilung ungeeignet (ein deutsches Problem), sie verdrängt auch die Investitionen aus Deutschland in Nicht-EU-Staaten wie die Schweiz. Daher ist es schlicht grotesk, das Kartellprinzip zum Standard zu erklären und die Schweiz für dessen Gefährdung verantwortlich zu machen.

EFD hätte Rechtsweg wählen müssen

Drittens sucht das EFD eine Lösung ausserhalb des Rechtweges. Sicherlich kann die Europäische Union den Schweizern drohen: Ihr habt zwar recht, aber wir haben die Macht. Wir zwingen euch in das Kartell. Doch so einfach, wie manche meinen, ist die Welt nicht.

Erst sollte die Schweiz erneut klarstellen, dass die Ursache des Problems in der EU-Hochbesteuerung liegt, ohne die es die Spezialgesellschaften nicht gäbe, und die Schweiz daher das Freihandelsabkommen nicht verletzt. Wenn dann die EU mit Handelssanktionen antwortet, bricht sie einseitig das Freihandelsabkommen und schafft so einen klaren Tatbestand, an dem das Schlichtungsverfahren, eventuell sogar der Internationale Gerichtshof nicht vorbeikommen. Ist das vertrauenswürdig? Das Freihandelsabkommen bringt Verfahrensklarheit, das neue Abkommen aber keine Ergebnisklarheit. Daher sind Experimente zu meiden.

Viertens dürften die volkswirtschaftlichen Kosten des Abkommens weit über die in der Presse genannten 1,5 Mrd. Fr. hinausgehen. Mit der Auswanderung grosser Konzerne nimmt das Steuersubstrat ab, Kantonshaushalte driften ins Minus, was Steuererhöhungen erzwingt. Der Finanzausgleich kann dies nicht kaschieren. Diese Kosten kommen erst später ans Licht. Daher sollte heute klarer Wein eingeschenkt werden: Die Stimmbürger werden die Rechnung bezahlen müssen.

Dieser Artikel wurde in der «Finanz und Wirtschaft» veröffentlicht.

November 2013