Le Centre pour la concurrence fiscale recherche les effets d'une concurrence fiscale dynamique et d'une protection efficace de la sphère privée financière sur la liberté individuelle et la propriété.

Das Bankgeheimnis ist keine Schlaumeierei

Es sind ungute, unfreundliche und unliberale Signale, die die deutsche Regierung in der letzten Zeit Richtung Liechtenstein und Schweiz gesandt hat.

Berlin hat mehrere Ingredienzen schlau gemischt und vermischt, die zum Teil nichts miteinander zu tun haben. Zu ihnen zählen der verbreitete Unmut über die Manager (und die Grossverdiener generell) sowie die Anprangerung der Steuerflucht als Staatsverbrechen. Dazu kommen die Bagatellisierung der Bedeutung der Privatsphäre und grosse Skepsis gegenüber jenem genossenschaftlichen Staatsverständnis, das nur in der Schweiz (und mit Abstrichen im monarchistischen Liechtenstein) noch heute halbwegs gelebte Wirklichkeit ist. Der Pfeffer in diesem Gemisch ist die Arroganz eines grossen Staates, der Mühe hat, die Andersartigkeit eines Kleinstaates zu respektieren - noch dazu, wenn diese Andersartigkeit wie ein Stachel im Fleisch der eigenen Unzulänglichkeiten sitzt -, aber auch die Hypokrisie einer Staatengemeinschaft, in der von der Stiftung bis zum Bankgeheimnis praktisch alle «verwerflichen» Spezialitäten der Schweiz und Liechtensteins da oder dort auch zu haben sind.

Unvorbereitet und uneinig

Das Vorgehen Deutschlands hat Methode und kam nicht aus heiterem Himmel. Die Schweiz wäre daher gut beraten, wenn sie sich gegen mögliche Weiterungen der Steueraffäre wappnete. Die Äusserungen des früheren deutschen Finanzministers Hans Eichel waren diesbezüglich unmissverständlich. Statt der rührenden Gelassenheit von Bundesrat Samuel Schmid oder eilfertiger Anpassung, zu der opportunistische Politiker immer neigen, sind eine kluge Strategie und grosse Festigkeit gefragt. Sonst könnte man dereinst so verdattert dastehen wie vor Jahren gegenüber den Attacken aus den USA wegen der nachrichtenlosen Vermögen, aus denen man sich mit Milliarden Franken «freikaufen» musste. Verheerend ist, dass es der Schweiz auch diesmal an nationaler Einigkeit fehlt. Die Linke spielt genüsslich auf der gleichen Klaviatur wie die Regierungskoalition zu Berlin. Sie fordert in einem Atemzug höhere Steuern, mehr Steuerfahnder, weniger Bankgeheimnis und Massnahmen gegen «Abzocker». Das ist der Stoff, aus dem die Orwellschen Albträume sind.

In der Auseinandersetzung mit der ausländischen und inländischen Kritik am Finanzplatz Schweiz, wie sie nun vielleicht verschärft auf das Land zukommt, gilt es daher klarzumachen, dass die helvetische Gesetzgebung nicht gewinnmaximierender Schlaumeierei entspringt, sondern einer freiheitlichen Staatsphilosophie, die das Individuum höher wertet als den Staat, Freiwilligkeit höher als Zwang und Unterschiede der Ideen, Temperamente, Fähigkeiten, Neigungen und Lebensumstände, aber auch der Einkommen und Vermögen höher als Gleichförmigkeit.

Schnüffeln verboten

Der Schutz der Privatsphäre der Individuen vor allem gegenüber dem Staat ist ein starker Pfeiler dieser Philosophie. Der Staat darf nur in gravierenden Fällen in die Privatsphäre eingreifen. Sonst gilt: Schnüffeln und Sich-Einmischen verboten. Ausdruck findet dieser Schutz unter anderem in der Institution des Bankkundengeheimnisses, weil man anhand finanzieller Transaktionen fast alle Handlungen eines Menschen verfolgen kann. Natürlich muss dieser Schutz aufgehoben werden, wenn Kriminalität im Spiel ist; daher gewährt die Schweiz bei allen Tatbeständen, die über blosse Vergehen hinausgehen, grosszügig Amts- und Rechtshilfe. Entsprechend gut steht sie im internationalen Vergleich mit ihrer Aufdeckungsquote bei Geldwäscherei-Delikten da. Doch eine Gesellschaft, die den Schutz der Privatsphäre leichtfertig aufgibt, weil Staatskassen Not leiden oder der Verdacht besteht, dass Steuerpflichtige gegenüber den Behörden nicht alles deklarieren, droht, in den Totalitarismus abzugleiten. Wer den Schutz der Privatheit als Grundrecht ansieht, wird dieses nur verletzen, wenn Gewichtigeres auf dem Spiel steht. Das ist jene Verhältnismässigkeit, die dem Fiskus der meisten Länder abgeht.

kein Volk von Kriminellen

Ausdruck einer Staatsphilosophie, die den Bürger respektiert und nicht als Objekt des Staates betrachtet, ist auch die Unterscheidung zwischen dem Vergehen Steuerhinterziehung und dem Verbrechen Steuerbetrug. Das eine wird in der Schweiz mit Busse und Nachsteuer geahndet, das andere strafrechtlich verfolgt. Die Abgrenzung ist zwar schwierig und bis zu einem gewissen Grad willkürlich. Wer jedoch diese Differenzierung nicht vornimmt und jeglichen Verstoss gegen das Steuerregime zu einem Kapitalverbrechen erhebt, kriminalisiert ganze Völker. Die Deutschen sind kein Volk von Kriminellen; sie wären es aber, wenn man jede Steuerhinterziehung als kriminell einstufte. Ob es um eine Mehrwertsteuer-Hinterziehung im eigenen Land von 200 Euro oder eine Einkommenssteuerflucht von 200000 Euro geht, macht nämlich vom moralischen Prinzip her keinen Unterschied. Da mag die Verknüpfung der medialen Hetze gegen Spitzenverdiener mit der Anprangerung von Steuerflüchtlingen noch so sehr etwas anderes suggerieren.

Steuerhinterziehung ist nicht einfach die Folge von Gier und krimineller Energie. Sie ist die Reaktion auf eine als unfair empfundene absolute und relative Höhe der Steuerbelastung. Sie hat mit Steuergesetzen zu tun, die so kompliziert sind, dass sie zur «Optimierung» geradezu einladen und dass man umgekehrt ohne Steuerberater leicht in die Illegalität abzurutschen droht. Und sie findet im Grossen wie im Kleinen überall statt, wo die Identifikation mit dem Gemeinwesen fehlt, weil dieses zu gross oder anonym ist; wo die mit den Steuern finanzierten Staatsaufgaben zu abstrakt, zu wenig bürgernah sind; wo der Staat ineffizient, bürokratisch oder sogar schikanös agiert; wo kein Vertrauen gegenüber dem Staat besteht; kurz: wo das Gefühl eines völligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung herrscht. In der Schweiz weiss man um diese Zusammenhänge und versucht, die Steuermoral an der Wurzel zu stärken, etwa durch Föderalismus und direkte Demokratie, statt sie polizeilich zu «erzwingen».

Lebensnotwendige Oasen

Weder der Schutz der Privatsphäre noch die fragile Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug sind ein Freipass dafür, sich den Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft zu entziehen. Der Umgang des Staates muss aber auch mit dem steuerhinterziehenden Bürger respektvoll und die Sanktionen müssen dem Vergehen angemessen sein. Diese Verhältnismässigkeit bei der staatlichen Einforderung der Solidarität wird nicht erst verletzt, wenn der Staat mit gestohlenen Daten und unter Mithilfe von Denunzianten gegen seine Bürger vorgeht und wenn er Verdächtige vor laufender Kamera blossstellt. Schon ein Staat, der sich das Recht herausnimmt, in die Privatsphäre einzudringen, sobald Verdachtsmomente für ein nicht völlig regelkonformes Verhalten vorliegen, ist ein unfreier, einengender Obrigkeitsstaat. Wenn es daneben Länder gibt, in denen die Bürger nicht dem Staat gehören, sondern der Staat den Bürgern, in denen das Volk die Steuerbelastung selbst bestimmt und nicht Regierungen und Parlamente, in denen der Schutz der Privatsphäre und die Unschuldsvermutung gegenüber dem Bürger gelten, so mag das für die «Steuerwüsten» unangenehm sein. Anstössig sind solche liberalen, bürgerfreundlichen «Steueroasen» nicht; es braucht sie.

Dieser Artikel wurde in der Neuen Zürcher Zeitung publiziert. Das Liberale Institut bedankt sich beim Autor für die freundliche Genehmigung zur weiteren Veröffentlichung.

mars 2008